Deutsche Hochschulmeisterschaften Rudern 2012- Ein unvergessliches Wochenende

-Ein Erfahrungsbericht –

Nach einem schwülen Vormittag ist Sandras erster Kommentar im vollbelegten und bepackten Wagen: „Als Kinder haben wir immer gesagt: ‚Ihhh berühr mich nicht, du schwitzt so!‘“ Doch dann das erste böse Omen: Bei der Abfahrt in Hannover am Freitag den 29.06.2012 gegen 16 Uhr gießt es aus allen Kübeln, daumennagelgroße Hagelkörner prasseln auf das Deck des geliehenen Wagens. Nach einer kleinen Umverteilung auf die Wagen sitze ich nun bei Robert und Marko und Sandra muss keine Berührungsängste mehr haben.

Der Veranstaltungsort der Deutschen Hochschulmeisterschaft im Rudern ist Bad Lobenstein. Veranstalter ist die Universität Jena in Kooperation mit dem vor Ort ansässigen Ruderverein. Am Zielort angekommen, heißt es: Zelte im Halbdunkel aufbauen, Grill anschmeißen, Grillgut (es sind Vegetarier unter uns) garen & anschließend vertilgen sowie schlafen gehen. Dann die Nacht; es zucken Blitze vom Himmel, der Regen trommelt auf unser Zelt. Innen jedoch ist es trocken, fast schon zu warm, Robert und meiner einer dösen schnell wieder ein.

Samstag. 7.00 Uhr. Der Morgen ist viel versprechend. Die Sonne scheint, Frühstück – ‚all you can eat‘ – gibt es vor Ort. So gestärkt besteht nur noch die Frage: Wer von den Frauen soll im Gig- Boot-Rennen antreten? Dürfen die Männer in der äquivalenten Kategorie überhaupt starten? – Die ursprüngliche Besatzung des Männer-4er Gig-Bootes war komplett ausgefallen. Die Frage wer von uns mitfahren sollte erübrigt sich, denn in unsere eigentlichen Disziplin – dem Mixed-Achter (Achter werden mit Riemen gerudert; jeder hat also nur ein Ruder) – sitzen nur Vier. Die Antwort: „Ja – wir dürfen starten.“ Bei den Frauen ist nun auch eine Entscheidung gefällt worden: Antje, Lotte, Daphne und Christine rudern, Sandra steuert. Christoph, Robert, Christopher und ich rudern im anderen Gig- Boot, die zurückhaltende Viola soll uns steuern. Die ganze Saison saß jeder von uns vielleicht zwei Mal in einem Boot mit Skulls (jeder hat also zwei Ruder) und jetzt ein Rennen… Zunächst noch selbstbewusst und voller Siegeswillen verläuft schon die Fahrt vom Steg zum Start alles andere als kippelfrei. Ein jeder von uns stellt fest, wie die Skulls förmlich in das Wasser gezogen werden, sobald sie dieses auch nur streifen. Das Aushebeln am Ende des Zuges benötigt unglaublich viel Kraft, geht kaum von statten – wir bekommen kaum Druck auf’s Blatt. Es muss die Höheneinstellung sein, sind wir uns einig. Chancenlos verläuft das Rennen. Außergewöhnlich war jedoch, dass wir während des Ruderns selten so viel lachten. Wieder am Steg angelangt schaut unser Trainer Magnus schon böse, erblickt meine Dolle (das Teil, in welches die Ruder eingelegt werden) und fragt ob ich bescheuert sei. Erst da sieht er, dass wir alle den gleichen Fehler gemacht haben: Die Dollen waren falsch herum! „Und das soll die zukünftige geistige Elite unseres Landes sein?!“ – Magnus kann es kaum glauben. Die Frauen haben leider – so erfahren wir – den letzten Platz belegt.

Das Hoffnungsrennen; noch kann man sich für das Finale qualifizieren. Vor dem Start proben wir selbigen und malen uns Chancen aus. Das Rennen selbst verläuft gut. Wir liegen nicht wieder völlig abgeschieden hinter den anderen, sondern voll im Feld. Viola – unsere Steuerfrau – überrascht uns völlig; sonst leise, nun aufbrausend, schreiend, Anweisungen gebend, motiviert sie uns die 500m zu meistern. Im Ziel. Wir wissen nicht ob wir Zweiter oder Dritter geworden sind. Es war knapp! Die Frauen, die erneut kurz nach uns starteten, sind leider wieder als letzte in Ziel gekommen. Christoph und ich gehen zum Regattabüro um unsere Platzierung und Zeit zu erfahren. 4/10 Sekunden fehlten auf den Zweiten. Das Halbfinale ist also verpasst.

Unser letztes Rennen im Gig-Boot – die Qualifikation für die Plätze 13-18 – verläuft schlecht. Unser Boot liegt beim Start schief in der Bahn. Noch ist nichts verloren. Dann fangen wir zwei Krebse hinter einander (ein Ruder bleibt im Wasser hängen). Als Vorletzte gleiten wir ins Ziel. Platz 17. Magnus, ist die Enttäuschung über unsere Platzierung deutlich anzusehen, motivierende Worte findet er dennoch: „Wir haben für den Achter trainiert. Nur dieses Rennen wird zählen. Wir müssen siegen, die Punkte für die Gesamtwertung holen. Der Unisport Hannover kann nicht nur fordern. Er muss Leistungen bringen.“ Magnus zeigt uns damit nicht nur seine Erwartungshaltung, er baut damit auch ungeheuren, deutlich spürbaren Druck auf. Abends um 10 im Bett; davor aber noch mit dem Achter auf’s Wasser. So jedenfalls der Plan. Der Achter muss zunächst vom Hänger, der oben auf dem Berg steht, nach unten getragen werden. Das nächste Omen. Wir sind unachtsam. Es knallt kurz. Noch besteht Hoffnung, dass es gut gegangen ist. Die Schreckensbotschaft ist optimistisch verpackt: „Es ist wenigstens nur ein Boot kaputt.“ Leider das Unsere. Magnus hat es noch nicht mitbekommen. Doch dann mahlen seine Kiefermuskeln. Die Beherrschung fällt ihm sichtlich schwer. Bei uns macht sich Weltuntergangsstimmung breit. All die harte Arbeit soll umsonst gewesen sein? Patrick, der sich mit Booten bestens auskennt, eilt herbei. Den Schaden kann er beheben. Wir werden starten können. Glück im Unglück.

Um 10 liegen wir zwar noch nicht im Bett, sind aber mit Grillen fertig. Nachdem den ganzen Tag hochsommerliche Temperaturen und Sonne pur vorherrschten, beginnt es zu tröpfeln. Auf dem Rückweg vom Duschen blitzt es bereits. Wir denken uns nichts weiter, schließlich haben wir die letzte Nacht auch überstanden. Irrtum. Es ist ungefähr kurz nach 12. Ich werde nass. Ganz verschlafen frage ich mich, wie das sein kann, wir haben doch ein Vorzelt. Doch das ist weg. Ich muss bereits schreien um den Wind zu übertönen und damit Robert zu wecken. Das Zelt droht weggerissen zu werden. Mit Rufen verständigen wir uns. Sowohl Christoph, der sich mit Christine ein Zelt teilt, als auch Magnus geht es gut. Nach 10 Minuten geben wir den Kampf auf. Das Zelt geht immer weiter kaputt, wir können es nicht mehr halten. In 30m von unserem Zelt steht einen Festzelt – ungefähr für 40 Personen geeignet – Robert und ich einigen uns darauf, dass ich – in Boxershorts und ärmelfreien Shirt – rüber renne und um Asyl bitte. Außerhalb des Zeltes zucken die Blitze. Christoph fängt mich ab, meint wir müssten zunächst die Zelte der Mädchen mit feststecken. Ich stimme zu, gebe Robert aber noch aus meiner Tasche eine Rolle Müllbeutel, in die er all unsere Sachen packen soll. Wir ahnen noch nichts von der Schneise, in der wir uns befinden. Robert und ich eilen mit all unseren Sachen in‘s Exil. Dort nimmt man uns herzlich auf. Doch die Stimmung ist angespannt. Die Insassen stehen an den Querstreben und versuchen das Zelt zu halten und zu stabilisieren. Eine freie Strebe ist bereits durchgebogen. Minütlich treffen neue Asylanten ein. Chistoph und Christine können wir doch noch überzeugen mit uns zu kommen. Deren Zelt knüllen wir zu einem großen Ball und nehmen es samt Inhalt mit. Unser Zelt ist in diesem Moment schon von dannen. Der Sturm lässt nach. Wir stellen fest, dass keiner von uns verletzt ist und schauen sogleich nach den Booten. Unser Boot ist nicht mehr wo wir es zurück gelassen haben. Auch stellen wir fest, dass schon aufgeräumt worden sein muss und dennoch befinden wir uns auf einem Schlachtfeld. Kolossaler Schaden bei etlichen Booten. Bei unserem Achter so glauben wir, ist nur das Schwert verbogen. Letztendlich kommen wir alle zu Ruhe. Bis auf Christine, Christoph, Robert und mir schlafen alle mehr schlecht als recht in ihren jeweiligen Zelt.

Der Morgen zeigt welcher Schaden entstanden ist. Christophs, Roberts und Magnus‘ Zelte standen genau in einer Sturmschneise. Boote sind mit Löchern übersäht. Man erzählt uns, dass die Boote wie bei Mikado in einander verwoben waren. Der erste positive Nachricht des Tages: Es gibt keine Verletzten. Die zweite positive Nachricht: Wir können starten. Patrick hat uns ein neues Schwert eingebaut und unsere Seitenwand, die auch Schaden genommen hat, abgedichtet. Der Rest des Tages verläuft – bis zum Rennen – wie in Trance. Einige letzte Veränderungen an den Einstellungen nehmen wir noch vor. Dann geht es mit Benedikt unserem Steuermann auf das Wasser. Auf Eins sitzt Sandra, dann folgen Christine, Christopher, Robert, ich, Christoph, Viola, und unsere Schlagfrau Daphne. Seit dem voran gegangenen Mittwoch waren wir nicht mehr auf dem Wasser. Bene nimmt uns die Angst, übt einige Starts mit uns und einige 10er Strecken damit wir wieder ein Gefühl für das Boot und die Mannschaft bekommen.

Dann das Rennen. Tausend Meter sind schneller vorbei, als man denkt. Andererseits doch wieder nicht. 3 Minuten und 15 Sekunden können zäh wie eine Ewigkeit sein. Der Plan von Magnus geht auf. Schon nach dem Start führen wir. Es gilt den Vorsprung zu halten und ‚das Ding nach Hause zu fahren‘. Ob Absicht oder nicht, auf Mitte der Strecke lenkt uns Bene vom Rand in die Mitte der Bahn. Wir bauen unseren Vorsprung aus und sind mit 4.90 Sekunden vor Münster im Ziel. Bis auf die zwischendurch gesehene 500 Metermarke und der Glaube, dass das Rennen nie vorbei sei, ist vom Rennen selbst bei mir Nichts haften geblieben. Im Ziel! Acht Kehlen schreien heraus, was die Lungen noch hergeben. Eine Zuschauerin kommentiert die Reaktion unseres Trainers Magnus wie folgt: „Ihr hättet sehen sollen, wie euer Trainer Magnus „glasige“ Augen bekommen hat, als deutlich wurde, dass ihr als 1. ins Ziel kommt…“ Die Mannschaft ist ihm in diesem Moment unglaublich dankbar für die zahlreichen, schweißtreibenden Trainingsstunden. Den Pokal in den Händen, allen bösen Omen zum Trotz, stehen wir ganz oben auf dem Siegerpodest, reißen den Pokal nach oben und können selbst kaum glauben, dass wir in unserer Kategorie gewonnen haben. Andrej Georgiev

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