Vor uns die Vergangenheit – Ein Rückblick auf 25 Jahre Pfingstwanderfahrten

Es ist der 02. Juni 2020. Drei bedeutende Jubiläen ereignen sich heute – wie lassen sie sich bloß angemessen begehen? Heute vor hundert Jahren wurde in Polen Marcel Reich-Ranicki geboren, heute vor fünfzig Jahren erblickte unser Vorsitzender Boris das Licht der Welt und heute vor fünfundzwanzig Jahren brachen die Aktiven Marc Möllmann (Biername Magic), Reinhard Hilmes, Hans-Ulrich Fleige (Hansi), Jens Poppe, Christoph Mauck, Stephan Störmer (Bauer) und ich zu unserer ersten Pfingstwanderfahrt in Richtung Danzig auf und begründeten so eine bis heute andauernde Tradition. Drei Jahrestage, die zu würdigen sind, aber keine Idee, wie. Man müsste eine Aktion starten, die Boris gefällt, mit Literatur oder wenigstens mit Schreiben zu tun hat und mit unseren Pfingstwanderfahrten…

Im Laufe des Tages erhalte ich eine E-Mail des besagten Boris. Er erklärt die Absicht der Echoredaktion, die bevorstehende Ausgabe umständehalber in anderer Gestalt herauskommen zu lassen. Anstelle der üblichen Regattaberichte, derer es gerade ermangelt, soll „mal ein bisschen breiter aus dem Mitgliederkreis“ berichtet werden. Boris würde sich freuen, wenn wir Pfingstwanderfahrer mithülfen und bei dieser Gelegenheit unsere persönlichen Erinnerungen und Eindrücke schildern würden, die wir von unseren gemeinsamen Unternehmungen im Laufe der Jahre mitgenommen haben.

Gerne kommen wir Boris‘ Bitte nach und liefern den gewünschten Rückblick. Uns ist das Zurückblicken ja sportartbedingt ohnehin eine Gewohnheit. Mir hat hierzu ein Theologe erklärt, dass die Perspektive eines Ruderers analog zum Zeitverständnis der Juden gesehen werden kann. In der jüdischen Kultur hat man die Vergangenheit vor sich (und wertschätzt sie) und bewegt sich mit dem Rücken zur Zukunft vorwärts – „Juden rudern durch die Zeit, während andere durch sie paddeln“. Wer weiß, vielleicht würde es dem jüdischen Literaturkritiker-Papst gefallen, wenn ihm ein Beitrag übers Rudern gewidmet wird, noch dazu einer, der seinen Ausgang in Polen nimmt…

Jedenfalls folgt, verbunden mit den besten Glückwünschen an Boris, ein, sagen wir semi-literarisches Quartett mit vier Versuchen über Pfingstwanderfahrten aus zweieinhalb Jahrzehnten und was sie mit uns machten.

Matthias Krause (Herr Krause)

Als einer, der bei 16 Wanderfahrten dabei war, …

… fällt es schwer, ein einzelnes Ereignis oder eine Fahrt als persönliches Highlight herauszuheben. Alle Fahrten hatten ihre Höhepunkte. Ein paar Ereignisse sind für mich aber besonders prägnant gewesen:

1995 – Weichsel

Nach der Stadtführung durch Thorn war uns von dem ehemaligen Trainer aus Wolfsburg, der aus Polen stammte, aufgrund von Weichselhochwasser von der Fahrt abgeraten worden. Ich selbst war anfangs einer der beiden, die für eine Absage plädierten, während die anderen trotz Hochwasser für die Fahrt waren. Wir haben uns dann umstimmen lassen (zum Glück!) und dann in Bromberg den wahren Grund für die Vorbehalte der Thorner gesehen – Wanderruderboote, die lange nicht mehr auf Wasser waren…

Nach Instandsetzung der Boote, besonders durch Hans, starteten wir in Bromberg unter den Blicken der anwesenden Einheimischen, die offenbar den Eindruck hatten, dass wir mit den Booten nicht bis Danzig kommen würden. Da die Boote morsch waren, mussten wir in den drei Tagen penibel darauf achten, dass sie nicht auf Grund setzten, da die Weichsel sehr breit und im Uferbereich flach war.

Damals war Polen noch sehr ländlich und noch nicht „renoviert“, im Einfahrtsbereich von Danzig lagen im Uferbereich Schiffswracks, aber die Innenstadt von Danzig (damals schon renoviert) hat uns bei einer kurzen Stadtführung von Matthias sehr beeindruckt (im Rückblick schöner als Lübeck).

Auf dieser Fahrt haben wir unsere Gemeinschaft schätzen gelernt, möglicherweise wäre, wenn wir damals nicht in Thorn gestartet wären, unsere gemeinsame Wanderfahrtserie nie gestartet!

2014 – Oder

Wie auch in den vergangenen Jahren stellte ich das Zugfahrzeug für den Bootshänger, da ich einige Jahre ein VW-Touareg-SUV hatte. Auf dieser Tour hatten wir den Touareg als Begleitfahrzeug, in Frankfurt wurde erst mal ein Ticket kassiert – der Wagen beschleunigte so gut… Andere Teilnehmer stellten fest, dass man trotz Hänger sehr gut überholen könne, die Beschleunigung auch gut wäre… es blieb aber bei einer Verwarnung aus Frankfurt.

Abbildung 1: 2014 – Auf der Oder

Auf der gut ausgebauten offiziellen Schifffahrtsstraße Oder trafen wir in den vier Tagen nur drei Boote; wir konnten diesen idyllischen Fluss für uns allein genießen.

Abbildung 1: 2014 – Praktisch: In Frankfurt spaziert man kurz über die Oder und kann spätabends noch günstig Bier kaufen (v. l. n. r.: Reinhard, Herr Krause, Frank Richter (der Lange)

2016 – Ostsee/Bodden

Diese Fahrt war für mich etwas Besonders. Die Fahrt von Loissin nach Wolgast im 4-Inrigger war für mich eine Fahrt, die nur in dieser Gruppe – alles erfahrene Ruderer, und man kann sich auf jeden verlassen – möglich war. Als Segler kenne ich das Versetzen des Bootes auf der Welle, hatte dieses aber noch nicht im Ruderboot erlebt, die Mannschaft ruderte, ich habe mich auf den Steuermann verlassen, dass er das Boot durch die Wellen führt…

In Erinnerung geblieben sind mir auch die zwölf km nach Anklam. Wieder ein abenteuerlicher Start am Gasthaus auf Usedom durch die Wellen im Windschatten der Brücke – Kurs vorher genau überlegt – in die Windabdeckung, dann in die Peene, dieses Mal im 2-Inrigger. Auf der Peene Gegenwind…

Abbildung 3: 2016 – Strandpause an der Ostsee

Während der 2er bei den Wellen auf dem Bodden im Vorteil war, war er auf der Peene ein zu breiter 2-, jeder Schlag brachte uns ein Stück voran, jede Pause ließ uns zurücktreiben, daher waren diese zwölf km wie sonst 30, aber am Ziel war dieses insgesamt eine Tour, die mit keiner anderen vergleichbar war!

Wie hat sich unsere Gemeinschaft in der Zeit verändert?

Für mich ist der Beginn der Fahrt immer ein Treffen alter Bekannter, als wenn die Zeit stehen geblieben ist. Die Gemeinschaft hat sich aus meiner Sicht nicht geändert, es ist – zumindest was die Kerntruppe von uns angeht – eine gemeinsame Gruppe, in der durchaus Privates angesprochen wird und man Anteil nimmt an den Schicksalen/Lebensumständen der anderen – dieses habe ich selbst vor zwei Jahren, als ich gesundheitlich ausfiel, erfahren.

Der Termin Pfingsten ist für mich ein gesetzter Termin, den ich im Familienkalender immer blockiere, dieses wird auch akzeptiert, es ist ein Kurzurlaub mal ohne Beruf und Familie.

Wir haben uns – aufgrund des Alters (?) – dahin gehend verändert, dass die Etappen kürzer werden bzw. mehr Pausen gemacht werden, außerdem wird jetzt doch versucht, in festen Quartieren zu übernachten und mit der Möglichkeit von organisiertem Frühstück und Abendessen – aber es ist doch noch urtümlicher als ich es z. B. in Sehnde erlebt habe mit Pensions- oder Hotelübernachtung. Dieses „Einfache“ Gemeinsame macht für mich einen Teil des besonderen Flairs der Pfingstfahrten aus.

Neben dem Rudern blieben mir auch diverse Male Essen gehen nach einem Rudertag in Erinnerung. Z. B. 1997 in Deutsch Eylau, wir gingen frisch geduscht nach drei Tagen Rudern und freiem Zelten am Ufer (ohne Sanitäranlagen) in ein Bistro und bestellten Vorspeisenteller und danach Pizza. Bedingt gesättigt gaben wir auf die Frage des Kellners „Wünschen Sie noch etwas“ zur Antwort „Alles nochmal“ und mussten dieses dem ungläubigen Kellner wiederholen. In Mühlhof (Elbe) 2005 erzeugten wir einen Schrecken auf dem Gesicht der Küchenangestellten mit der Bestellung „9x Fleischplatte des Hauses“, die dem Wirt antworteten, dass hätten sie nicht, während der Wirt das Geschäft witterte und sagte, es gehe klar – wir hatten diverse verschiedene Fleischstücke auf den Tellern, er musste auch die leeren Gläser immer sofort abräumen, um die nächsten georderten Biere nachzuliefern. 2013 hatten wir in Gorleben das merkwürdige Ereignis, dass das Buffet aufgrund Wetterumschwungs geschlossen werden „musste“, da alle Sahnegerichte sonst „umkippen“ würden, wir hatten gerade unseren dritten Teller des Kartoffelbuffets geholt… Hatte da jemand Angst, dass wir zu viel für den Pauschalbetrag essen würden? Unverständlich, da wir zu jeder Runde und zusätzlich regelmäßig Bier orderten… Ruderer sind halt hungrig und durstig!

Durch diese gemeinsamen Touren wird das Lebensbundprinzip von Angaria intensiviert!

Christoph Mauck

1997 – Polski Blues

So lautet der Titel eines Romans von Janosch, eines Road movies in Buchform. Drei befreundete Männer machen sich auf die Suche nach einem ehemals berühmten Jazzmusiker, von dem man sagt, er wisse das Leben zu leben. In ein Dorf irgendwo in Polen soll er sich zurückgezogen haben. Von dem Besuch bei ihm erhoffen sich die Freunde sinnstiftende Erfahrungen und vielleicht eine Sternstunde. „Fünf Sternstunden stehen dir zu in einem Leben. Wenn du Glück hast“, und „Man kann sie nicht arrangieren“, meint der älteste der Drei. Schließlich finden sie den Musiker, doch die Begegnung gerät zu einer furchtbaren, ratlos machenden Enttäuschung. Der vermeintliche Lebenskünstler ist scheinbar dem Wahnsinn verfallen. Erst am letzten gemeinsamen Abend gibt es bei einfachstem Essen, Wein und Musik doch noch die erhoffte Sternstunde.

1997 gaben Marc und Reinhard das Ziel unserer zweiten Polen-Wanderfahrt aus: Wir wollten, in Fortsetzung unserer ‘95er Fahrt, die Bromberger Runde vollenden, das heißt von Danzig auf Mündungsarmen der Weichsel zum Frischen Haff, von dort über den Oberländischen Kanal von See zu See südwärts, und schließlich auf der Eylenz und der Drewenz nach Thorn (nahe Bromberg).

Wir waren gut vorbereitet oder glaubten es zumindest zu sein: Ausgestattet mit einem Wassersportführer aus der Vorkriegszeit (d. h. vor dem Ersten Weltkrieg) machten wir uns frohgemut mit Samson und Grobi, den Gig-Vierern des hannoverschen Hochschulsports, auf den Weg. Details der ersten Tage findet man im Sommer-Echo 1997 beschrieben. Wir konzentrieren uns auf die Ereignisse am Donnerstag, den 22. Mai.

Für diesen Tag hatten wir uns vorgenommen, die Drewenz zu erreichen und noch ein Stück auf ihr zurückzulegen. Zuvor mussten wir die Eylenz hinabrudern. In Reinhards schlauem Buch war über dieses wunderschöne naturbelassene Flüsschen notiert, es sei mit Einern (Kanus!) gut zu befahren, mit Zweiern nur sehr eingeschränkt. Häufig lägen Baumstämme quer. Wir hätten also gewarnt gewesen sein können. Ein paar hundert Meter rudern, zwischendurch aussteigen und treideln, das schwere Gepäck ausladen, die Uferböschung hinauf wuchten und an einer Stromschnelle oder sonstigen längeren unpassierbaren Stelle vorbeitragen, zurücklaufen, gemeinsam die Boote und Skulls holen, alles wieder ruderbereit machen, dann bis zur nächsten, mit Glück zur übernächsten Kurve rudern – langsam und kräftezehrend war unser Vorankommen an diesem Tag.

Schließlich passierte, was passieren musste. Beim Versuch, unter einem Baumstamm hindurch zu manövrieren, wurde Samson von der Strömung erfasst und stellte sich quer. Infolge von Grundberührung erlitt die Außenhaut dabei einen längeren Riss. Dank gut eingeübter Handgriffe waren wir samt Ausrüstung kurze Zeit später an Land, begutachteten den Schaden und beschlossen traurig das Ende dieser Wanderfahrt.

Schiffbrüchig im Wald und fernab vom nächsten Beherbergungs- oder Gastronomiebetrieb mussten wir uns selbst helfen. Inmitten einer Schonung wurden die Zelte aufgeschlagen. Am Lagerfeuer wurden die Kleidungsstücke zum Trocknen und die Schuhe zum Schmelzen aufgehängt und der Plan für die Heimkehr ausgearbeitet. Glücklicherweise verlief in der Nähe eine Landstraße. Zwei Bundesbrüder würden sich am folgenden Tag per Anhalter (die erste Etappe per Traktor!) nach Danzig durchschlagen, um Anhänger und Zugfahrzeug zu holen. Die anderen würden die sperrigen Boote durch den Wald zur Straße bugsieren und abwarten.

Abbildung 4: 1997 – Im Zoppot vor Beginn unserer zweiten Polenfahrt (Herr Krause, Reinhard, Dirk Dreising (Dumbo), Arnd Fichtner, Christoph, Hansi, Magic, Jens

Nachdem alles Nötige besprochen war, ereignete sich nicht mehr viel. Still kauerten wir am Feuer und verzehrten die aufgewärmten Nudeln. Wir entbehrten des Komforts von Hotel und Pizzeria in Deutsch Eylau, den wir die Nacht zuvor genießen durften (Christoph berichtete hierüber), und verfügten lediglich über ein paar Dinge für die Grundbedürfnisse. Wir hatten nichts Großartiges vollbracht, sondern waren auf halber Strecke gescheitert. Im Grunde hatten wir nur uns und unsere Gemeinschaft. Nur? War nicht unsere Gemeinschaft, gekeimt vielleicht auf einer der Flurfeten auf dem Haus, für jeden einzelnen von uns überhaupt die Voraussetzung gewesen, sich auf dieses Abenteuer hier und die beiden in den Jahren zuvor einzulassen? Und umgekehrt, bildeten nicht all die Herausforderungen und Anekdoten, die uns um Pfingsten beschert wurden und immer noch werden, nicht das Band, das unsere Freundschaften jährlich festigte? Und erlebten wir hier und jetzt an der Eylenz bei Mały Bor so etwas wie die Essenz dieser Freundschaft? Bei Gedanken wie diesen überwältigte mich damals ein plötzliches, heftiges und unvergleichliches Glücksgefühl. Natürlich, schwierige Situationen und lustige Begebenheiten, an die ich gerne zurückdenke, gab es zahlreiche im Laufe der Jahre. Aber dieser Moment ragt heraus.

Mittlerweile bin ich durch Zufall in den Besitz eines detaillierten und ansprechend gestalteten Wassersportführers für Ostpreußen gelangt, der 2007 erstellt wurde. Er enthält eine Variante der Bromberger Runde, die vom Oberländischen Kanal nicht nach Deutsch Eylau, sondern nach Osterode am Drewenzsee führt, zur Heimatstadt meines Vaters AH Uli Krause. Von Osterode ginge es direkt auf die breitere Drewenz, wir würden also der für uns unbefahrbaren Eylenz aus dem Weg gehen.

Ob wir es noch mal wissen wollen? Ob wir es wagen werden? Ob es uns glücken wird?

Matthias Krause

2014 – Pfingstwanderfahrt auf Ostsee, Ryck und Peene

Als spät berufener Teilnehmer lud ich zum Einstand in meine neue ruderische Heimat in den wilden Osten ein. Wir waren eine der ersten Truppen, welche die vom DRV neu angeschafften Inrigger 2+ (richtig gelesen) und 4+ zzgl. eines 2x+ aus Greifswalder Beständen ausprobieren wollten. Lebhaft in Erinnerung geblieben ist vor allem der zweite Tag. Nachdem wir uns am ersten Tag zwölf km bei traumhaftem Wetter vom Greifswalder Ruderclub zum Kite-Surfer-Hotspot Loissin hatten von Windstärke 3 hinschaukeln lassen, war für den zweiten Tag Windstärke 4-5 von hinten angesagt. Die Wellen erschienen für Windstärke 5 recht hoch, das wurde aber dem flachen Wasser zugeschoben. Die Kiter fragten noch etwas ungläubig: „Wie? Ihr geht bei dem Wetter raus?“, Rückfrage: „Wieso? Ihr nicht?“ und schon ging‘s los. 1-1,5 m hohe Wellen verlangten den Steuerleuten einiges ab, den Ruderern aufgrund des Schiebewindes deutlich weniger. Interessanterweise erwies sich der 2+ als die seetauglichste Bootsform, gefolgt vom Inrigger 4+. Skullen grenzte ziemlich an Unmöglichkeit. Nach fünf km die erste Strandpause in der Absicht, den Wind etwas abflauen zu lassen, was er aber nicht tat – wieder auf ins Geschehen. Das ganze quasi im Le-Mans-Start: Alle Hände ans Boot, Boot ins Wasser und dann ganz schnell weg, bevor einen die Dünung zurück auf den Strand treibt. Leider gibt’s keine Bilder davon. Coastal Rennen werden bei solchen Bedingungen, glaube ich, abgesagt. Die Boote kamen gut durch, und nach weiteren drei km kamen wir ins Flachwasser am Kernkraftwerk. 30 cm Wassertiefe, was alle Wellen abbügelte, führten zu einer Wanderfahrt angemessener Entspanntheit beim Rudern. Nach sechs Stunden erreichten wir Wolgast. Etappenlänge 24 km. Die nachträgliche Überprüfung per Wind-App ergab, dass teilweise in Böen wohl auch Windstärke 7 dabei waren. Ups. Don’t try this at home.

Bbr. Jörg Spiegel kam am Abend dazu und wollte Abenteuer erleben, die nächsten Tage waren zwar windig, aber alles in allem ruhig.

Olaf Böhne

Pfingstwanderfahrt durch das Havelland über die Potsdamer und Brandenburger Havelseen in den Naturpark Westhavelland unter Berücksichtigung der Kontaktbeschränkungen angesichts der Corona-Pandemie zum Schutz der Alten Herren vor der Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2

Die Überschrift fasst in ihrer inhaltlichen Bedeutsamkeit schon die Besonderheit der diesjährigen Wanderfahrt zusammen. Eigentlich hätte uns eine einzigartige und in ihrer Mannigfaltigkeit der Natur beeindruckende Wasserlandschaft erwartet und uns erneut Anlass zur Festigung unserer langjährigen festen Freundschaften gegeben. Aber auch diese Veranstaltung fiel den Kontaktbeschränkungen zum Opfer.

Diese Tatsache nehme auch ich gern zum Anlass, der Anregung unseres Präsiden nachzukommen, eine kleine Rückschau mit besonderen persönlichen Erlebnissen, Highlights und sonstigen Erkenntnissen zu geben.

Wir legten ab 1995 auf 23 Wanderfahrten an 77 Tagen auf mehr als 30 verschiedenen Gewässern insgesamt 2.740 km zurück. Das entspricht einer durchschnittlichen Länge von 36 km je Tagesetappe und 120 km je Wanderfahrt bei 3,35 Tagen je Wanderfahrt. Gewertet sind nur die reinen Rudertage. An- und Abreisetage sind nicht berücksichtigt (s. Tabelle 1). Besonderheiten in dieser Statistik sind die erste Fahrt auf der Weichsel mit mehr als 60 Kilometern pro Tag und die 7-tägige Fahrt 1999 mit 365 Kilometern auf Moldau und Elbe.

JahrGewässerStartZielStrecke/kmTagekm/Tag
1995Weichsel (Polen)BrombergDanzig184361,33
1996Elbe (z. T. Tschechien)MelnikDresden152350,67
1997Tote Weichsel, Weichsel, Elbinger Weichsel, Nogat, Oberländischer Kanal, Eylenz (Polen)DanzigMaly Bor180536,00
1999Moldau, Elbe (z. T. Tschechien)TynDresden365752,14
2000Dalslandkanal, Götakanal (Schweden)BengtsforsStockholm60320,00
2001Saale, UnstrutRoßlebenHalle114338,00
2002NeckarStuttgartBad Wimpfen78326,00
2003Elbe-Lübeck-Kanal, Wakenitz Rothenhusen65232,50
2005ElbeDresdenTorgau106335,33
2006Fulda, WeserKasselHameln161353,67
2007Alster, Elbe, ZollkanalHamburgHanskalbsand62231,00
2008LeineHannoverGrasdorf22122,00
2009AllerCelleVerden111337,00
2010EmsGrevenLingen83327,67
2011Spree, DahmeGrünauGrünau70323,33
2012Spree, DahmeLübbenauGrünau90330,00
2013ElbeWittenbergeHamburg170442,50
2014Oder (z. T. Polen)Frankfurt/O.Stettin156439,00
2015MainLangenprozeltenMiltenberg83327,67
2016Ostsee, PeeneGreifswaldAnklam92423,00
2017DonauIngolstadtDeggendorf170442,50
2018RuhrSchwerteMülheim87421,75
2019MoselPölichZell80420,00
2021HavelBerlinRathenow106426,50
Summe ohne Havel 20212.74177
Durchschnitt ohne Havel 20211193,3535,6
Tabelle 1: Pfingstwanderfahrten der Rudergemeinschaft Angaria mit Angaben zu Zeit, Ort, Länge und Dauer

Man könnte nun weitere statistische Auswertungen über z. B. die Entwicklung der Fahrtenlänge und der Tagesetappen unter Berücksichtigung des steigenden Alters der Teilnehmer vornehmen. Hierfür sind jedoch die Daten unter zu unterschiedlichen Randbedingungen erfasst. Die Länge einer Tagesetappe hängt bekanntlich nicht nur vom Alter der Teilnehmer, sondern auch von Faktoren wie Strömungsgeschwindigkeit, Bootsmaterial (Barke oder Gig) und natürlich der Witterung ab. So mussten wir auf unserer Schwedentour beispielsweise die Etappen auf Grund des starken Windes unterbrechen; bei der zweiten Polenfahrt war ja sogar ein Abbruch auf Grund einer Havarie erforderlich. Auch stellten Tagestappen von gut 20 km bei mehreren Windstärken auf Ostsee und Peene eine echte Herausforderung dar, während diese Länge bei leichtem Schiebewind auf der Mosel im letzten Jahr wirklich bequem zu bewältigen war.

Doch dies sind nur nüchterne Zahlen. Was bewegt uns, einmal im Jahr ein verlängertes Wochenende aus dem Alltag auszusteigen?

Es ist nicht der Ehrgeiz, Kilometer für das eigene Ego oder das Fahrtenbuch zu sammeln. Es ist die Faszination, eine Zeitreise mit einem einzigartigen Gemeinschaftserlebnis zu verbinden. Das Besondere hierbei ist die Inhomogenität unserer Gruppe. Natürlich bilden die Maschinenbauer die stärkste Fakultät, aber auch die anderen Ingenieurwissenschaften einschließlich Architektur sowie Chemie und Zahnmedizin sind vertreten. Rudersportlich haben wir die unterschiedlichsten Wege hinter uns – vom Hochleistungssport bis zum Breitensport. Beruflich und familiär haben wir unterschiedliche Wege zurückgelegt. Unterschiedlichste Charaktere sind vertreten. Während einige eher ruhig mit weniger Gesprächsanteilen partizipieren, können andere problemlos mehrere Tage ohne Unterbrechung die ganze Gruppe mit den unglaublichsten Geschichten unterhalten. Während die einen, stets von innerer Unruhe getrieben, nachts noch um Häuser ziehen müssen, gehen die anderen gern vor Mitternacht schlafen.

Jeder trägt seinen Teil zum Gelingen bei – Routinen wie Aufriggern, Boote beladen, Zelte aufbauen, Frühstück machen, laufen automatisch ab. Schlüsselaufgaben wie Fahrtenkasse und Werkzeug sind entsprechend der Kompetenzen fest zugeordnet.

Was uns verbindet, ist folgendes: Wir waren Ende der 80er und Anfang der 90er aktiv, und die Mehrzahl hat auf dem Haus gewohnt. Diese Zufälligkeit ist nicht nur unser Erfolgsrezept. Es ist das Funktionsprinzip der Angaria! Die gemeinsame Zeit in jungen Jahren relativ unbeschwert miteinander verbringen und vor dem Start in das Berufsleben Menschenkenntnisse sammeln, Verantwortung übernehmen, einander schätzen und einschätzen lernen prägt ein Leben lang.

Natürlich werden jedes Jahr auch Neuigkeiten über Familie, Beruf, Schicksale etc. in einer ganz besonderen Vertrautheit ausgetauscht. Aber immer wieder ist es faszinierend, wie doch alle im Kern die Alten geblieben sind, die nach wie vor vergleichbare Interessen wie die derzeitigen Aktiven haben. Und immer wieder erkennt man die alten Verhaltensmuster aus der Studentenzeit. So bildet die Pfingstwanderfahrt stets ein Highlight im Jahr.

Einfach eine Auszeit nehmen, unbeschwert die Seele baumeln lassen, den Reiz der Natur erleben, von alten Zeiten schwärmen, Neuigkeiten erfahren und ein wenig Abenteuer erleben: Diese Dinge lernt man mit den Jahren kontinuierlich mehr schätzen!

Reinhard Hilmes

Nachtrag

So weit die vier Erfahrungsberichte. Viele Fahrten sind hier gar nicht angesprochen worden, und auch über diejenigen, die bereits Erwähnung gefunden haben, könnte jeder von uns seinen individuell gefärbten und wesentlich ausführlicheren Bericht verfassen.

Abbildung 5: 2014 – Im Oberwasser von Niederfinow (Reinhard, Jens, Frank)

Da war doch noch 1997 in Elbing mit Hansi das äußerst gewissenhafte gemeinsame Einüben der korrekten Aussprache des polnischen Wortes für Bremsflüssigkeit, bis Hansi im Fachgeschäft infolge seiner anscheinend akzentfreien Darbietung von płym hamulcowy als Landsmann wahrgenommen und ihm das Gewünschte und für eine sichere Heimreise so Wichtige sofort, unverzüglich ausgehändigt wurde. Da war 2014 dieses wahrhaft erhebende Gefühl, das mit einer Passage des Schiffshebewerks Niederfinow einhergeht. Da war 2016, Olaf hat es so nicht erleben können, denn er lenkte das Zugfahrzeug, einen Traktor, der mehrstündige Transfer per „mobiler Kirche“ (gemeindeeigener Bauwagen) vom Ziel der Ruderetappe zum Nachtquartier – ich kann mir im Rückblick nicht erklären, wie wir angesichts des Restalkohols am folgenden Tag in der Lage waren, die von Christoph geschilderte Boddenetappe zu bewältigen, aber es erklärt vielleicht, dass wir den Mut hatten, sie anzugehen… Es ließe sich noch ein ganzes Echo, womöglich ein Buch, mit weiteren Beiträgen füllen, aber die Bedeutung, die diese Fahrtenserie für uns hat, ist anhand dieser Streiflichter vielleicht deutlich geworden.

Abbildung 6: – Abendstimmung am Langen Markt in Danzig (Herr Krause, Jens, Hansi, Reinhard, Bauer, Christoph, Magic)

Fortsetzung folgt.

Matthias Krause